In Bestform und neuer Rolle zu den Paralympics
Nach der wohl besten Saison seiner Karriere möchte Thomas Böhme auch in der Nationalmannschaft Akzente setzen und bei den Paralympics in der Hammer-Gruppe die Top-Nationen ärgern – Einer der schnellsten Rollstuhlbasketballer der Welt
Im Verein hat Thomas Böhme alles gewonnen, was es im Rollstuhlbasketball zu gewinnen gibt. Nun möchte der pfeilschnelle Topscorer mit der deutschen Nationalmannschaft bei den Paralympics die Hammer-Gruppe in der Vorrunde überstehen – und überraschen.
Thomas Böhme ist sechsmaliger deutscher Meister, gewann sieben Mal den DRS-Pokalsieger, zwei Mal die Champions League und sogar den Weltpokal. In diesem Jahr kam der Champions Cup hinzu, die acht besten Teams Europas trafen sich zu einem Turnier als Champions-League-Ersatz. Im deutschen Finale siegte der RSV Lahn-Dill 71:67 gegen die RSB Thuringia Bulls. Topscorer? Böhme – für den die Saison möglicherweise die beste in seiner ganzen Karriere war.
Böhme: „Wir wollen den ein oder anderen ärgern“
In der Nationalmannschaft knüpfte der 30-Jährige, der an einer Fernuni Sportmanagement studiert, an diese Leistungen nahtlos an. Bei den beiden Testspielsiegen gegen Vize-Europameister Spanien erzielte er starke 39 Punkte inklusive fünf Dreier und ließ nur 24 Stunden später 16 Punkte folgen – wieder Bestwert. Doch damit die Nationalmannschaft bei den Paralympics in der Hammer-Gruppe mit den besten vier Teams der vergangenen WM bestehen kann, wird es auch einen „Tommy“ Böhme in Höchstform brauchen.
„Da sind wir der Außenseiter, aber wir wollen diese Rolle annehmen und den ein oder anderen ärgern“, sagt Böhme vor den Duellen mit Paralympics-Sieger USA, Weltmeister Großbritannien, dem WM-Dritten Australien, Afrikameister Algerien und dem WM-Vierten Iran: „Mein Ziel ist es auf jeden Fall, die Vorrunde zu überstehen und ins Viertelfinale zu kommen, auch wenn ich noch gar nicht so weit schauen möchte. Wir müssen immer das Beste aus uns rausholen.“
Nicolai Zeltinger: „Er wird die Mannschaft tragen können“
Dass er selbst das Beste aus sich herausholen kann, liegt auch an der Erfahrung, die er bereits gesammelt hat. In der Rollstuhlbasketball-Bundesliga und in der europäischen Königsklasse misst sich Böhme in teils epischen Spielen mit den Besten der Welt. Nach elf Jahren bei Lahn-Dill und genauso vielen in der Nationalmannschaft zählt er zu den dienstältesten Spielern und übernimmt mittlerweile noch mehr Verantwortung: „Diese neue Rolle macht Spaß und ich versuche, die Jungs mit meiner Leistung mitzureißen. Darauf freue ich mich in Tokio.“
Wenn er nach seinen Stärken gefragt wird, lacht Böhme, sagt dann aber, dass seine Leistung in der Defense dazu zählt und er viel an seinem Drei-Punkte-Wurf gearbeitet hat: „Das sind Stärken, die ich in die Mannschaft einbringen möchte.“ Bundestrainer Nicolai Zeltinger sieht noch weitere Faktoren: „Tommy hat das Athletik-Training in den vergangenen Jahren zu 100 Prozent ausgekostet und damit kann er nun auftrumpfen. Er ist einer der schnellsten Spieler der Welt. Auch dass er seit fünf Jahren mit einer Sportpsychologin zusammenarbeitet, hat ihn reifen lassen. Er ist deutlich stabiler geworden und rundum ein absoluter Weltklassespieler. Er wird in Tokio viele Minuten kriegen und die Mannschaft mit seiner Schnelligkeit und Abgebrühtheit tragen können.“
Mit 14 Jahren debütierte Böhme in der Bundesliga
Mit 30 Jahren alles auf Vereinsebene gewonnen, Welt- und -Europameister bei den Junioren und mit der Nationalmannschaft EM-Silber 2011 und EM-Bronze 2015 und 2017: Dass Böhmes Karriere so verläuft, hätte auch Zeltinger nicht erwartet. Er war Spielertrainer beim RSV Bayreuth, als er Böhme einst zum Bundesligaspieler machte – mit nur 14 Jahren. „Er war ein Schützling von Rudi Buckley und schon damals hat man erahnt, wie basketballverrückt und mit wie viel Talent er ausgestattet ist. Besonders beeindruckt hat mich, dass er direkt frühzeitig seine rechte und linke Hand trainiert hat und das zeichnet ihn jetzt Jahre später absolut aus, dass er mit beiden Händen sehr gefährlich ist.“
Doch Böhme mit 14 Jahren Bundesliga spielen zu lassen, war nicht unumstritten – auf der einen Seite wollte man ihn langsam aufbauen, auf der anderen Seite war klar, dass er Bundesliga spielen muss, um weiterzukommen: „Er hatte sich in Bayreuth gut entwickelt und wir wussten, dass das ein Riesensprung ist. Aber nachträglich war es die richtige Entscheidung, ihn hochzuziehen.“ Anschließend sammelte Böhme beim USC München und den Jena Caputs Spielpraxis und folgte Zeltinger mit 19 Jahren dann zum RSV Lahn-Dill, für den er bis heute spielt.
Böhme: „Sportlich werden es geile Spiele“
In dieser RBBL-Spielzeit erzielte Böhme im Schnitt mehr als zwanzig Punkte pro Spiel und ist jetzt „hochmotiviert“ für die Paralympics. Im deutschen Kader sieht er eine gute Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern: „Die Stimmung und der Zusammenhalt sind super. Jeder ist für Jeden da und unterstützt den Anderen. Es macht Spaß mit den Jungs zu trainieren und ich bin optimistisch, dass wir bestehen können.“
Schon 2018 war die Nationalmannschaft für ein Turnier in Japan, spielte in der Paralympics-Spielstätte und erkundete Tokio. Auch wenn letzteres pandemiebedingt nicht möglich sein wird, freut sich Böhme auf seine dritten Paralympics: „Wie das ganze Drumherum wird, ist schwierig zu sagen, alleine wegen der Zuschauer wird es sicher nicht so sein wie in London oder Rio. Aber nichtsdestotrotz sind es Paralympics, sportlich werden es geile Spiele. Wir haben eine verdammt starke Gruppe erwischt und das sind die Duelle, die am meisten Spaß machen.“
Böhme trainiert eine U10-Mannschaft im Fußgänger-Basketball
Wenn Böhme dann aus Tokio zurückkommt, wird er von seinen Erlebnissen berichten müssen. Denn beim MTV Gießen trainiert er eine neugierige U10-Mannschaft im Fußgänger-Basketball, „und die freuen sich immer, wenn sie mich in der Zeitung oder im Fernsehen sehen. Es gibt in Gießen einen Kinospot mit uns und wenn sie dann sagen, dass sie mich gesehen haben, muss ich immer erzählen.“
Böhme bringt den Kids, die meisten sind zwischen sechs und acht Jahre alt, die Grundlagen des Basketballsports bei. „Ich arbeite gerne mit Kindern und wollte das schon immer machen. Es macht riesigen Spaß und ist ein schöner Ausgleich, nicht immer selbst zu spielen.“ Nebenbei gibt er die Faszination weiter, die ihn selbst zum Rollstuhlbasketball gebracht hat: „Einmal habe ich Rollstühle mitgebracht und wir haben Rollstuhlbasketball gespielt. Das wollten sie dann jede Woche machen, aber ich habe ihnen gesagt, dass wir mal wieder normal Basketball trainieren sollten – wir können am Wochenende ja nicht im Rollstuhl spielen.“
Quelle: Nico Feißt
Spiele bei den Paralympics:
26. August 9 Uhr USA
27. August 14.45 Uhr Großbritannien
28. August 11 Uhr Australien
29. August 14.45 Uhr Algerien
30.August 11 Uhr Iran
1.September Viertelfinale
3.September Halbfinale
5.September Finale
Der deutsche Paralympics-Kader wird am kommenden Montag, 19. Juli, um 12 Uhr im Rahmen der Nominierung des Team Deutschland Paralympics verkündet.