Eine Symbiose aus Teamgeist und Talent – Ausblick auf die nahende WM in Vejle

Josco Wilke ist ein Schlüsselspieler und Leistungsträger der deutschen Rollstuhlrugby-Nationalmannschaft. Bei der anstehenden Weltmeisterschaft vom 10. bis 16. Oktober in Dänemark begibt er sich mit seinem Team auf eine ehrgeizige Mission. Das Ziel lautet: Weichen stellen für eine Teilnahme an den Paralympischen Spiele 2024 in Paris.

Dass Josco Wilke ein erfolgreicher Sportler werden würde, war ihm bereits in die Wiege gelegt worden – dass er allerdings im Rollstuhlrugby aktiv werden würde, damit war freilich nicht zu rechnen. Wilke hat in seinem Leben schon viele Sportarten ausprobiert: „Angefangen hat damals alles mit Turmspringen, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich mich mit Teamsportarten besonders gut Identifizieren kann“, sagt der 21-Jährige. Er spielte zunächst Feldhockey und träumte davon, ein erfolgreicher Hockeyspieler zu werden, bis er sich schließlich umorientieren musste: Mit 13 Jahren hat Wilke einen bis heute unerklärlichen Rückenmarksinfarkt erlitten, der zu einer inkompletten Querschnittslähmung führte. Eine Diagnose, die sein Leben zunächst völlig auf den Kopf stellte. Doch sein Weg führte ihn bereits in der Reha frühzeitig zum Sport zurück: „Tischtennis war mein erster Kontakt mit dem Para Sport, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich wieder einen Teamsport brauche“, berichtet Wilke.

Kombination aus Taktik und Action: „Es kracht, es geht zur Sache und es fordert den Kopf“

Zunächst probierte der Auszubildende Rollstuhlbasketball aus, doch der Funke wollte nicht recht überspringen. Seine Suche sollte jedoch ein Happy End finden: In einem Rehacenter in seiner Heimatstadt Leipzig lernte er das Team der Rugby-Löwen Leipzig kennen – und wurde zu einem Probetraining eingeladen. „Es hat zu Beginn etwas Überzeugungsarbeit gekostet, aber nach dem ersten Training war ich Feuer und Flamme. Es kracht, es geht zur Sache und die Taktik, die dahintersteckt, ist extrem wichtig und fordert den Kopf“, sagt Wilke begeistert, der zunächst in der 2. Bundesliga für die Leipziger Löwen spielte und schließlich für die Nationalmannschaft gesichtet wurde. Für den damals 16-Jährigen erfüllte sich damit ein Lebenstraum. „Ich wollte schon von Kindheit an irgendwann für ein Nationalteam spielen“, berichtet Wilke.

Als zu Beginn jüngster Spieler und Neuling in der Mannschaft hat sich Wilke zu einem unverzichtbaren Teil des Teams entwickelt, bei dem ihm auch seine Erfahrungen im Feldhockey helfen. Bereits bei seiner ersten EM 2018 in Dänemark wird er als bester Spieler ausgezeichnet und nimmt seither eine wichtige Schlüsselrolle in der Mannschaft ein. Cheftrainer Christoph Werner: „Josco ist ein Phänomen, er macht von klein auf Mannschaftssport. Er liest das Spiel, hat ein Ballgefühl wie kein anderer, bringt sich ins Training ein und hat viele Ideen. Er ist ein sehr wichtiger Spieler für uns.“ Wilke bleibt trotz der Lobeshymne bescheiden, denn für ihn mache besonders der Zusammenhalt im Team den Reiz am Sport aus: „Jeder Spieler spielt eine große Rolle. Alle müssen immer alles geben, nur als Gesamtpaket können wir eine gute Performance hinlegen“, betont der 21-jährige Teamplayer, der immer das Wohl der Mannschaft im Blick hat.

„Wenn wir bei den Großen mithalten, ist das der Weg in die richtige Richtung“

Bei der anstehenden Rollstuhlrugby-WM, die vom 10. bis zum 16. Oktober im dänischen Vejle ausgetragen wird, will das deutsche Team sein Potenzial abrufen. Die Ziele sind der Einzug ins Viertelfinale und das Klettern in der Weltrangliste vom zehnten auf den achten Platz. Keine leichten Aufgaben, denn bereits in der Vorrunde trifft Deutschland auf Top-Teams wie den Paralympics-Sieger Großbritannien, die bei den Spielen in Tokio zweitplatzierten USA und den Europameister aus Frankreich. Wenn Deutschland am 11. Oktober ins Spielgeschehen eingreift, steht direkt das Aufeinandertreffen mit den beiden Paralympics-Finalisten auf dem Programm – USA am Vormittag und Großbritannien am Abend heißen die Gegner. Doch Josco Wilke, der zum ersten Mal bei einer WM dabei sein wird, freut sich besonders auf diese schwierigen Spiele: „Es ist eine Ehre, bei einer WM gegen die besten Nationen der Welt spielen zu dürfen. Ich finde es großartig, ein Teil davon zu sein.“

Damit sich Deutschland für das Viertelfinale qualifizieren kann, werden besonders die Duelle gegen Neuseeland und die Schweiz wichtige Schlüsselspiele sein: „Das sind Mannschaften, die wir besiegen können und müssen, wenn wir ins Viertelfinale einziehen wollen“, sagt Cheftrainer Christoph Werner. Die besten vier Mannschaften der beiden Gruppen ziehen ins Viertelfinale ein und kämpfen dort im K.o.-System um die Medaillen und den Titel. Die Nationalmannschaft hat in diesem Jahr bereits bewiesen, was in ihr steckt und belegte bei der EM in Frankreich im Februar Platz vier.

Für Cheftrainer Christoph Werner ist die Weltmeisterschaft ein Wegweiser für die Zukunft und zugleich eine gute Vorbereitung für die auch mit Blick auf Paris 2024 wichtige EM in Cardiff im nächsten Jahr. Schließlich können sich dort die ersten Teams für die Paralympischen Spiele in Frankreich qualifizieren. „Wir wollen unbedingt zu den Paralympics und sind auf einem guten Weg, dieses große Ziel endlich wieder zu erreichen. Bei der WM gilt es jetzt, weitere internationale Erfahrungen zu sammeln und ein erstes Ausrufezeichen zu setzen.“ Zuletzt war die deutsche Nationalmannschaft 2008 in Peking bei den Spielen dabei.

Damals war Wilke sieben Jahre jung – und hatte nicht einmal gewusst, dass es die Sportart Rollstuhlrugby überhaupt gibt. Jetzt ist er für diese Mission ein unverzichtbarer Leistungsträger, der gemeinsam mit seinem Team alles geben wird, um sich den Traum zu erfüllen und nach 16-jähriger Wartezeit wieder die Teilnahme an den Paralympics zu schaffen. Stellvertretend für sein Team sagt Josco Wilke: „Die Motivation ist riesig.“

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Text: Annika Kollenbroich
Foto: © Nadine Bieneck

Der WM-Kader der deutschen Rollstuhlrugby-Nationalmannschaft

Florian Bongard (28, Bergisch Gladbach, RSG Koblenz), Justus Heinrich (23, Arnstadt, RSB Thüringer Bulls), Marco Herbst (33, Rendsburg, VFL Grasdorf), Britta Kripke (45, Buchholz in der Nordheide, Alstersport e.V.), Yves Maubach (25, Olpe, Team Agivia), Mascha Mosel (19, Bremen, TSV Achim), Christian Riedel (52, Stuttgart, RSC Frankfurt), Jens Sauerbier (35, Magdeburg, SV Eiche 05 Biederitz), Michael Volter (31, Bad-Nauheim, RSC Frankfurt), Steffen Wecke (38, Steckby, SV Eiche 05 Biederitz), Josco Wilke (21, Leipzig, LBRS Leipzig e.V.).

Die Gruppen der Rollstuhlrugby-WM

Gruppe A: Großbritannien, USA, Frankreich, Neuseeland, Schweiz, Deutschland
Gruppe B: Japan, Australien, Kanada, Dänemark, Brasilien, Kolumbien

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