Hau ab! Lass mich in Ruhe!
Als der 190 cm große Hüne auf das Kind im Rollstuhl zuging, um es zu greifen, hob dieses selbstbewusst die linke Handfläche nach vorne. „Halt, bleib da stehen! Komm nicht näher!“ Die Augen von Sophia wirkten entschlossen. Von Unsicherheit keine Spur. Als der Mann die Hand nach ihr ausstreckte, stoppte die 9-Jährige den Angreifer mit der linken Hand, während sie ihn mit der rechten Hand wegstieß. „Das war super“, sagte Nils Thate in die Runde der insgesamt 10 Kinder, die sich am 18. März zum Workshop getroffen hatten, um Techniken zur Gefahrenabwehr zu lernen.
„Natürlich haben Kinder mit Behinderungen nur begrenzte Möglichkeiten, sich einen Aggressor vom Leib zu halten, besonders, wenn sie noch dazu auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Daher ist ein selbstbewusstes und energisches Auftreten in solch brenzlichen Situationen um so wichtiger“, erzählt der gebürtige Bremer. Seit mehr als 12 Jahren veranstaltet die RSG Langenhagen mit Nils Thate, Selbstverteidigungstrainer der Organisation für effektive Selbstverteidigung (OFES) Workshops, um Kinder, aber auch Erwachsene, mit Behinderungen mental und körperlich gegen Übergriffe stärker zu machen. Und derartige Übergriffe gab es in der Vergangenheit viele und sie werden leider nicht weniger. Ob es sich hierbei um das freche Wegschieben eines Menschen im Rollstuhl handelt, weil man im Supermarkt sonst nicht an das Regal herankommt, das Entwenden von Taschen, die sich am Rollstuhl befinden oder extreme Überfälle in Richtung sexueller Gewalt, wovon Behinderte viel öfter betroffen sind. Deshalb ist es so wichtig, sich im Vorfeld damit vertraut zu machen, welche reellen Möglichkeiten Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen tatsächlich haben, um gefährlichen Situationen entgegenzuwirken. Und je früher man damit beginnt, umso größer stehen die Chancen, diese erfolgreich zu überstehen.
Natürlich sollte bei einem guten Workshop, gerade für Kinder, auch der Spaß nicht zu kurz kommen, denn in einem stressfreien Umfeld lässt es sich am besten lernen. Und Spaß hatten die Kinder zur Genüge, als es Nils Thate nach wenigen Minuten gelungen war, das Eis zu brechen und die Kinder ihre anfängliche Nervosität abgelegt hatten. Währenddessen saßen die Eltern bei Kaffee und Snacks zusammen und überbrückten den vierstündigen Workshop mit dem Austausch von Erfahrungen. „Es ist enorm wichtig, dass bei unseren Veranstaltungen die Eltern ähnlich viel Spaß haben und sich wohl fühlen, wie ihre Kinder. Denn sie sind ja letztendlich die treibende Kraft, die oft zuvor noch einige Stunden Autofahrt auf sich genommen haben, um ihren Kindern unseren Workshop zu ermöglichen“, erzählt Ulrike Kriebel, die 2. Vorsitzende der RSG Langenhagen, dem führenden Anbieter für Rollstuhlsport in der Region Hannover. Einige der Kids im Rolli brachten Geschwister oder Freunde mit, die sich ebenfalls in einen Rolli setzten und motiviert mitmachten. Neben Rollenspielen, die das Selbstbewusstsein stärken sollen, gab es Übungen zur Schärfung der Wahrnehmung, um Gefahren frühzeitig zu erkennen und darauf entsprechend zu reagieren. Und selbstverständlich gab es Übungen zur Selbstverteidigung, um gegen Altersgenossen, die hier und da mal über die Stränge schlagen, bestehen zu können. Als sich die Kids verabschiedeten, stand für sie fest, dass sie beim nächsten Workshop am 24.06. wieder dabei sein würden.
Die RSG Langenhagen bedankt sich bei der Wilhelm Hirte Stiftung und dem Flughafen Hannover-Langenhagen für die Unterstützung zur Durchführung der Workshops.
>>> mehr zum Sportverein: www.rsg-langenhagen.de
Text: Nils Thate / RSG Langenhagen
Fotos: © Maike Lobback