Interview mit Stefan Ebert: „Im Lowpointer-Bereich waren wir Deutschen immer sehr gut aufgestellt.“
Vom heutigen Donnerstag bis Sonntag dieser Woche duellieren sich sieben deutsche Rollstuhlrugby-Spieler und -Spielerinnen bei den World Games in Birmingham (Alabama) mit den Teams aus der Schweiz, den USA, Großbritannien, Japan und Kanada im Kampf um die Krone der besten „Lowpoint-Mannschaft“ der Welt. Vor dem ersten Hochball gab der Vorsitzende des DRS-Fachbereichs Rollstuhlrugby, Stefan Ebert, für das „Rollt.“-Magazin Einblicke in das „Lowpoint-Format“, die deutsche Mannschaft – nebst Betreuerstab – sowie den Planungsstand in puncto Bernd-Best-Turnier.
Stefan, vom 14. bis zum 17. Juli wird ein deutsches Lowpoint-Team bei den World Game im amerikanischen Birmingham die Fahnen des Fachbereichs, der Sportart und einer ganzen Fangemeinde hochhalten. Bevor wir auf die Ziele der Reise zu sprechen kommen, möchte ich dich bitten, in zwei, drei Sätzen zu erklären, was es mit „Lowpoint-Rollstuhlrugby“ – im Gegensatz zum „normalen Rollstuhlrugby“ – auf sich hat?
Lowpointer sind Rugby-Athleten mit Klassifizierungen von 0,5 bis max. 1,5 Punkten. Die Highpointer mit 2,0 bis 3,5 Klassifizierungspunkten sind in der Regel schneller und lösen taktische Probleme im Zweifel mit Kraft. Da du als Lowpointer nur auf den ersten drei Metern tempomäßig mithalten kannst, spielt in diesem Bereich Taktik und Spielwitz eine viel größere Rolle. Das Besondere an der deutschen Rugby-Szene ist übrigens nicht nur die Breite, sondern auch die Anzahl an Lowpointern, die mit einem Anteil von deutlich über 50% sehr gut vertreten sind. Sprich: Im Lowpointer-Bereich waren wir Deutschen immer sehr gut aufgestellt.
Warum habt ihr euch dazu entschieden, eine Delegation in die USA zu schicken, um nicht nur den Sport, sondern auch ein ganzes Land zu repräsentieren?
Zu den World Games wird man eingeladen …
Mea culpa. Wie ging es euch mit der Einladung?
Wir fühlten uns zunächst unglaublich geehrt, zu dem ausgesuchten Kreis der Teilnehmer zu gehören. Im „normalen“ Rugby wird es immer schwerer, den Abstand zur absoluten Weltspitze zu verringern. Das Turnier wird es zeigen, aber ich denke, wenn wir nur auf die Lowpointer blicken, sind wir ganz weit vorne.
Woran machst du das fest?
Nun, bei unserem Vorbereitungsturnier in Nottwil (CH), an dem die europäischen Spitzenteams und das kanadische Auswahlteam teilnahmen, landete wir auf einem mehr als verdienten 2. Platz. Für uns ist es also auch eine Chance, zu zeigen, wo wir mit unserem Lowpointern international stehen. Und das hat der Außenstehende diesem Team von Anfang an angemerkt: Es will sich zeigen.
Beschreibe uns doch bitte kurz das Lowpoint-Team:
Gerne. Kopf des Teams ist unser Co-Natio-Trainer Christian Riedel (0,5), der auch den Großteil der Organisation übernommen hat. Taktisch ein absoluter Fuchs. Peter Schreiner (0,5), früherer Kopf der Rebels aus Karlsruhe, steht ihm strategisch hilfreich zur Seite. Mit Thomas Schuwje (1.5) steht ein ehemaliger Nationalspieler im Team, der nicht nur sehr charakterstark ist, sondern für mich im schweizerischen Nottwil einer der stärksten Spieler des Turniers war. Auf internationaler Ebene gibt es nicht viele Frauen, die sich durchsetzen können. Britta Kripke (1,0) kann dies schon seit einigen Jahren, was ich auch auf ihre sehr professionelle Einstellung zurückführe. Sehr engagiert und körperlich stark sind unsere beiden „jungen Wilden“ Florian Bongard (1.0) und Niklas Braschoß (1.0), die den Kader breiter machen. Verstärkt wird das Kollektiv schließlich noch mit Robert Teichmann (1.0), seit Jahren einer der Schlüsselspieler der Munich Rugbears, so dass wir ein wirklich gutes Team in die USA schicken konnten.
Und dann gibt es noch das Staff.
Richtig. Unterstützt wird der Kader von einem kleinen, aber sehr engagierten Betreuer-Stab, der aus Swantje Hörr, Brianna Braschoß, Alexander Schuwje und Alex Schreiner besteht.
Hand aufs Herz: Was wird sportlich möglich sein?
Die Gegner sind nur schwer auszurechnen, weil wir in dieser Form noch nicht gegen sie gespielt haben. Aber seit Nottwil konnte unser Team nicht nur wiederholt zusammen trainieren, der Kader ist auch belastbarer geworden. Wenn es keine gesundheitlichen Ausfälle bei unseren Schlüsselspieler gibt, nun, dann wagen wir sogar von einer Medaille zu träumen.
Wenn ich dich schon im Interview habe, möchte ich die Gelegenheit nutzen, dir ein eins, zwei Fragen zu stellen, die mir unter den Nägeln brennen. Ich habe das Gefühl, dass der Kampf um talentierte und junge „Behindertensportler“ immer größer wird. Was unternimmt der Rollstuhlrugby-Fachbereich, um möglichst attraktiv zu sein, um dadurch Talente langfristig an den Sport zu binden?
Was wir seitens des Fachbereichs nicht haben, sind relevante Mittel für ein halbwegs professionelles Recruiting; schon gar nicht in der Höhe, die unsere Sportart in anderen Ländern zur Verfügung gestellt bekommt, um massiv in Strukturen und auch in Spieler zu investieren. Welchen Unterschied das ausmacht, siehst du an der Weltspitze. Was ich übrigens nicht recht verstehe: Warum jemand, der auf Grund von vielleicht auch nur leichten Einschränkungen in einer Sportart nur „mitschwimmt“, obwohl er beim Rugby ein kleiner König sein könnte. Image, Wertschätzung und Anerkennung auch von außen ist auch gegeben. Ich denke, wir sollten uns da nicht zu schade sein, auch mit diesen Argumenten stärker um neue Spieler zu werben.
Was macht euch ein Stückweit einzigartig bzw. hebt euch von anderen Sportarten ab?
Lass mich das an meinem persönlichen Beispiel festmachen. Ich habe vor meinem Unfall viel Sport getrieben, dann aber lange Zeit eigentlich ausschließlich mit Nichtbehinderten zu tun gehabt. Beim Rugby habe ich dann festgestellt, dass die Ruggers (Kosenamen für alle Rollstuhlrugby-Spieler, Anm. d. Red.) schon echt coole Typen sind. Wahrscheinlich kommst du sonst auch nicht zu so einem Sport. Und bei aller Coolness und sportlichem Ehrgeiz geht es an den Sportwochenenden bei uns sehr freundschaftlich, fast schon familiär zu.
Auf was freust du dich in diesen World-Games-Tagen am meisten?
Auf tolle Impressionen aus Birmingham, die Lust auf Rugby machen. Denn sind wir mal ganz ehrlich: Die Bilder sind nicht nur für die Community. Mit den Eindrücken wollen wir auch potenzielle Sportler ansprechen, die uns noch nicht so ganz auf dem Radar haben. Dafür hat nicht nur der Nationaltrainer tief in seine Etatkasse gegriffen, sondern auch wir als Fachbereich haben erhebliche Mittel in die Hand genommen, um die Teilnahme des Teams und eine anständige Vorbereitung zu ermöglichen.
Themenwechsel: Euer, wenn nicht sogar das weltweit größte Zugpferd, das Bernd-Best-Turnier (BBT), musste die letzten Jahre aufgrund der Pandemie abgesagt werden. Kannst du uns einen Einblick in den Planungsstand gewähren? Wann werden alle Rugbyspieler und -spielerinnen wieder fröhlich zusammenkommen, um sich zu duellieren und dem Sport Strahlkraft zu verleihen?
Wir planen für 2023. Das Vor-Ostern-Wochenende steht. Die Stadt Köln konnte uns zwei der drei Hallen zusagen und das Jugendgästehaus konnte auch schon gebucht werden. Organisatorin Anke Opiela hat ihre Leute zusammen und kann auf ein eingespieltes Team aufbauen. Ab Oktober geht´s dann in die Details. Eigentlich kann uns dann nur COVID stoppen. Ich selbst glaube nicht, dass das aktuell propagandierte Prinzip der „Eigenverantwortung des Einzelnen“ ab Spätherbst noch aufrechterhalten werden kann. Aber ich habe die starke Hoffnung, dass wir mit diversen Schutzmaßnahmen und eventuellen Selbstbeschränkungen endlich unser nächstes BBT-Fest bekommen.
Bitte vervollständige zum Abschluss unseres Gesprächs den folgenden Satz: In fünf Jahren wird Rollstuhlrugby in Deutschland …
… am Scheideweg gestanden haben. Wir werden entweder, wie in anderen gesellschaftlichen Bereich auch, einen verstärkten Rückzug des Einzelnen erlebt oder uns auf unsere Ursprünge und Besonderheiten besonnen haben, und zwar mit der Folge, uns wieder stärker auf den Sport und die Gemeinschaft zu konzentrieren.
Vielen Dank für deine Zeit, Stefan.
Das Interview führte Martin Schenk für das „Rollt.“-Magazin.
Foto: ©privat / Stefan Ebert
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