Glückliche Kinder und begeisterte Eltern

Rollstuhlfahren will gelernt sein! Nach Corona-bedingter Zwangspause hatten Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in diesem Jahr endlich wieder die Möglichkeit, die Fahrtechniken zur sicheren Beherrschung des eigenen Rollstuhls in spielerischer Atmosphäre zu erlernen und im Rahmen einer Intensiv-Trainingswoche der DRS-Rollikids in der Manfred-Sauer-Stiftung in Lobbach zu vertiefen. Almut Fuchs, Teilnehmerin und Mutter von „Rollikid“ Christian berichtet von ihren Erlebnissen:

Nach zweijähriger Corona-Zwangspause fand in diesem Jahr erstmals wieder der Rolli-Mobilitätskurs des DRS in Lobbach statt. Darauf hatten elf Kinder und ihre Familien gewartet, als es am 20. August endlich losging. Die anfängliche Zurückhaltung im Pulk der Führung durch die barrierefreien Anlagen der Manfred-Sauer-Stiftung verflog schnell. Angeleitet durch die kompetenten Übungsleiter Ingrid, Hannes, Klaus und Shamal, unter der Führung von Romy, konnte man bei den Kids tägliche Fortschritte im Rolligebrauch sehen.

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Dabei war es die Mischung aus konzentrierter Arbeit und Spaß, die zu den deutlich sichtbaren Erfolgen führte. Einerseits wurde an Skills gearbeitet: Wie fährt man ergonomisch? Wie überwindet man Schwellen und Bordsteine? Andererseits kam aber auch der Spaß nicht zu kurz. Vor allen Dingen im Wheelsoccer entdeckten einige Kinder an sich ungeahnte Talente.
Da wurde so manches Kind, das sonst im Sportunterricht zuletzt gewählt wurde, zum Stürmerstar der Mannschaft oder zum unüberwindbaren strategischen Blocker für die Gegner. Diese Erfahrungen kann den Kindern niemand mehr nehmen. Und wenn die Eltern zum Abholen kamen, war schon von Weitem das glückliche Juchzen und Johlen zu hören.

Selbst Langschläfer kamen morgens fix aus dem Bett und konnten es nicht erwarten, aus der Tür zu rollen. Alle Kinder nutzten zwischen den Einheiten das großzügige Foyer für Verfolgungsfahrten mit zunehmend rasanteren Kurvenführungen – auch Kinder die sich bislang immer nur in der Nähe ihrer Eltern bewegt hatten, lösten sich und erkundeten den sicheren Raum. Wer sich zuvor lieber hatte schieben lassen, war nun in der Lage, sich selbstbestimmt für ein Ziel zu entscheiden und dieses Ziel mit dem Rolli eigenständig zu erreichen. Immer wieder waren die Eltern erstaunt, welche bislang unbekannten Fähigkeiten der Kinder in kurzer Zeit sichtbar wurden.

Im Außengelände der Manfred-Sauer-Stiftung befindet sich der Kaiser-Ring, auf dem so manches Rolli-Rennen gefahren wurde. Übungsleiter, Geschwisterkinder und Eltern waren auch am Start. Den Eltern blieb bei so mancher Schussfahrt des Kindes das Herz kurz im Halse stecken. Das kümmerte aber den Sieger oder die Siegerin nicht. Auf dem Kaiser-Ring konnten auch Handbike und Liegefahrrad erprobt werden, da leuchteten die Augen der Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen.

Ganz groß war auch die „Pimp my Ride“-Aktion von Übungsleiter Klaus: allen Rollikids wurde unter ihren Rollstuhl eine Diskokugel mit Powerbank per Kabelbinder verbaut. Da wurde der Rolli mal eben fix zum Coolness- und Spaßfaktor umdefiniert, der noch dazu lässig ein optisches nächtliches Highlight setzt. So wurden alle Kinder in der Gruppe zu begeisterten Rollstuhltanzenden.

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Außerdem stand die regelmäßige Wartung eines Rollis bei Kindern und Eltern auf dem Programm. So lernten wir neben dem Reinigen von Vorderrädern (ich sag nur: kein haariges Vergnügen) auch viel über die optimale Anpassung des Rollstuhls. Was ein zu breiter Rolli für ihr Kind bedeutet, konnte eine Mutter im Elterntraining erleben – ihr Fazit: „Null Kontrolle über das Fahrzeug und die Angst ist vorprogrammiert – das geht gar nicht. Ein gut angepasster Rollstuhl bringt Sicherheit und führt zu mehr Selbstbewusstsein im Umgang.“

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Am Mittwoch bezog die Deutsche Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Damen ebenfalls Quartier in Lobbach. Man teilte sich sportlich die große Halle, und so konnten alle staunend betrachten, was da noch so geht im Rollstuhlsport.

Ab Montag stand für die Kinder täglich eine Wassereinheit auf dem Programm, bei der jedes Kind Einzelzeit mit Hannes oder Romy genießen konnte. Manches Kind, das zunächst nicht ins Wasser wollte, wollte am Ende gar nicht mehr raus – so sensibel setzten die Übungsleitenden bei den jeweiligen Fähigkeiten der Kinder an. Die Eltern bekamen am Ende der Woche Tipps, was für ihre Kinder der nächste Schritt zur Sicherheit beim Baden und Schwimmen ist.

Neben den organisierten Fachvorträgen zu Parasport, Katheterisierung und Selbständigkeit, blieb auch Raum für den Austausch der Eltern untereinander. Da wurden Erfahrungen mit Hilfsmitteln, Adressen und Life Hacks ausgetauscht, von Höhen und Tiefen berichtet und im Gemeinschaftsgefühl jede Menge Kraft getankt. Es entstand eine lebhafte Gruppe in einem Kurznachrichtendienst, die auch nach Ende des Rollikurses bestehen bleibt. Mehrfach wurde die Idee eines weiterführenden „Auffrischungs-“ Kurses besprochen, den die Eltern als sehr wertvoll erachten würden. Ein entsprechendes Angebot würden alle begrüßen.

Auch die Eltern zeigten körperlichen Einsatz – und setzten sich in den Rollstuhl, für viele zum ersten Mal. Aus der geänderten Perspektive erlebten sie deutlich die Barrieren, mit denen sich ihre Kinder im Alltag mühen. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort, dass man eine Weile in den Mokassins eines anderen laufen soll, damit man ihn versteht – für das Fahren in Rollstühlen gilt das genauso.

Betroffen berichteten Eltern anschließend, dass sie sich für das schämen, was sie ihren Kindern bisher zugemutet haben –etwa Kopfsteinpflaster, übergangsloses Ankippen über hohe Bordsteine, mit Tüten, Rucksack und Taschen behängte Rollstühle. Heidi drückte es treffend aus: „Ich habe den Rollstuhl wie einen Kinderwagen behandelt und erst hier gemerkt, dass es Aarons ‚Füße‘ sind.“ „Ich habe da erst begriffen, wie ausgeliefert derjenige der sitzt, an den der schiebt, ist“, so Michael. Es ist nicht nur die körperliche Auslieferung, sondern auch die psychische – gleichzeitig liegt darin aber auch ein kraftvoller Schlüssel dazu, wie Selbständigkeit gefördert werden kann.

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„Wenn ich nicht selbst im Rollstuhl gesessen hätte, wüsste ich nicht, wie anstrengend das ist – aber auch nicht, wie viel Spaß es machen kann“, sagte Katja – oder, wie Übungsleiterin Ingrid es ausdrückte: „Gehen wird überbewertet.“

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Für Elians Mutter Jenny war die eigene Nutzung des Rollstuhls auch ein Ausflug in die Welt ihres Kindes – „Elian hat uns seine Welt gezeigt. Er findet es toll, wenn wir zusammen fahren.“ Einige Eltern wollen sogar für sich selbst oder für Geschwisterkinder eigene gebrauchte Rollstühle anschaffen, damit sie am Rollen bleiben.

Die Erfahrungen aus diesem Kurs haben alle Teilnehmenden verändert – betroffene Kinder, Geschwisterkinder, Eltern – und sogar Übungsleiter. Wie sagte es Aarons Mutter Heidi so treffend? „Ich nehme ein ganz anderes Kind mit nach Hause, ich kann euch nicht genug danken.“ – Dem ist nichts hinzuzufügen.

Text: Almut Fuchs
Fotos: Privat

>>> zum Kinder- und Jugendsport beim DRS: Rollikids.de
>>> zur barrierefreien Unterkunft: Manfred-Sauer-Stiftung.de

Über die DRS-Mobikurse:

Mit dem qualifizierten Rollstuhl- und Mobilitätstrainingskurs des DRS lernen junge Rollstuhlnutzer*innen spielerisch den Umgang mit dem Rolli. Jugendliche, junge Erwachsene und Familien, die bereits über Grundlagenkenntnisse verfügen, können an den Sport- und Familienkursen teilnehmen. Bereits vorhandene Fähigkeiten werden gefestigt, weitere Fahrtechniken hinzugelernt. Im Mittelpunkt stehen das gemeinsame Sporttreiben in der Gruppe und die vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten mit dem Rollstuhl.

Weitere Infos gibt’s auf der rollikids-Webseite.

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